Igel Bull putzte sich gar nicht gern die Zähne, bis er eines Tages zum Zahnarzt musste. Der Arzt jagte dem Igel einen großen Schreck ein, obwohl er ihm eigentlich fast nicht weh tat. Aber er erklärte Bull, wie wichtig das Zähneputzen war und dass man mit geputzten Zähnen gar nicht erst zum Doktor musste. Seitdem putzte der Igel seine Zähne zwei Mal pro Tag. Er drehte den Wasserhahn auf, das Wasser begann im dicken Strahl herauszuschießen, Bull nahm sich die Zahnbürste, drückte Zahncreme drauf, putzte sich die Zähne, verließ dabei manchmal sogar das Badezimmer und schaute zum Fenster raus, um zu sehen, was draußen für ein Wetter war. Dann spülte Bull seinen Mund aus und drehte schließlich das Wasser ab. Einmal schaffte er es sogar, bei aufgedrehtem Wasserhahn seinen Schulranzen zu packen, die ganze Zeit mit der Zahnbürste im Mund, und währenddessen lief immer mehr Wasser in die Kanalisation. Bull bemerkte, dass er seine Naturkundehausaufgaben nicht gemacht hatte, und das ärgerte ihn.
Auf dem Schulweg fiel ihm eine Pfütze auf, in der ein gelbes Blatt schwamm. Er sprang in die Pfütze und – befand sich plötzlich auf dem Grund des Ozeans, im Königreich der Tropfen. Zu seinem Glück gaben ihm die Tropfen gleich einen Sauerstoffballon, damit der Igel unter Wasser atmen konnte.
„Und schon wieder haben wir ihm das Leben gerettet, auch wenn er das gar nicht verdient hat“, sagte einer der Tropfen.
„Na ja, wir haben schließlich das Portal in der Pfütze nicht geschlossen, also ist es unsere Schuld, dass er hier ist. Wir mussten ihn retten. Und er ist doch bloß ein einfacher kleiner Igel“, antwortete ein zweiter Tropfen.
„Mach dich nicht lächerlich! Dieser ‚einfache kleine Igel‘ hat ganz umsonst Millionen von Tropfen verschwendet. Millionen von uns sind umsonst gestorben, nur weil er den Wasserhahn beim Zähneputzen nicht zudrehen wollte. Außerdem hat er noch eine ganze Menge nicht ausgetrunkene Getränke auf dem Gewissen.“
„Ach, das ist der, der seine Mama immer nach Tee fragt und ihn dann nicht austrinkt?“
„Und ein paar Stunden später lässt er ihn dann Tropfen um Tropfen den Ausguss runterfließen. Ich sag es dir doch – wir hätten ihn nicht retten müssen.“
„Immer mit der Ruhe, meine Tropfen!“, mischte sich ein dritter Tropfen ein. Er sah wichtiger als die anderen aus, der Igel verstand, dass er es mit einer Autoritätsperson zu tun hatte. „Ein jedes Lebewesen auf diesem Planeten besteht aus Wasser, deswegen müssen wir sie alle retten. Wir haben ja nicht nur den Igel gerettet, sondern auch die Tropfen, die in seinen Zellen hausen. Deswegen genug damit, Wache. Genug mit der Panik und dem Selbstmitleid!“
Die Tropfen gehorchten, verstummten und schauten zu dem Igel, der ihrem Gespräch mit vor Verwunderung geweiteten Augen gelauscht hatte. Schließlich brachte er etwas hervor:
„Ihr habt mich doch nicht etwa die ganze Zeit beobachtet? Sogar in der Dusche, wenn ich mir den Penis gewaschen habe? Das ist doch abartig!“
„Oh, das kannst du mir glauben, hätte ich eine Wahl, dann würde ich niemanden beobachten. Aber Wasser gibt nun einmal schnell Informationen weiter, wir sind mit allen Tropfen auf der Erde verbunden und wissen alles“, antwortete der erste Tropfen, der gerade eben noch am meisten gegen den Igel gehetzt hatte.
„Sogar, wie ich damals einen Nasenpopel versteckt habe, als ich bei der Häsin Katy zu Gast war?“
„Sogar über den Nasenpopel wissen wir Bescheid.“
„Bitte erzählt der Häsin Katy nichts davon, die wird richtig sauer. Sie hat doch so einen Sauberkeitsfimmel und kann stundenlang ihr Haus putzen.“
„Eigentlich unterhalten wir uns überhaupt nicht mit euch Lebewesen. Nur mit denen, die aus irgendeinem Grund in unser Königreich gelangen. Und das geschieht nur äußerst selten. Heute hat schlicht jemand vergessen, das Portal zu schließen.“
„Das liegt an unserem Personalmangel“, stellte der zweite Tropfen düster fest. „Wir werden immer weniger.“
Die Tropfen traten zu dem Portal, aber das war schon zu. Sie begannen sich darüber zu beraten, wie sie Bull zurück an die Oberfläche bringen könnten: Ob sie ein anderes Portal suchen sollten oder das in der Pfütze noch einmal aufmachen würden. Das Problem dabei war, dass die Pfütze zu verdunsten begonnen hatte, denn der letzte Tag war im Wald sehr warm gewesen.
„Warum gibt es bei euch denn Personalmangel?“, unterbrach der Igel die Tropfen. Wobei er sich im Stillen über diese Neuigkeit freute. Schließlich kam ihm der Gedanke nicht sonderlich angenehm vor, dass diese Wasserherde jeden seiner Schritte verfolgte und er jetzt mit jedem Nasenpopel vorsichtig sein musste.
„Weil es auf der Welt immer weniger Süßwasser gibt“, antwortete der zweite Tropfen.
„Bei uns im Wald gibt es ganz viel Wasser. Ein paar Seen und einen Fluss. Und außerdem noch den Regen“, meinte der Igel.
„Genau da liegt das Problem, Süßwasser ist auf der Erde sehr ungleich verteilt. Manche haben Glück. In solchen Ländern wie Brasilien, den USA, Kanada, China, Kolumbien, Indonesien, Peru, und, Neptun sei’s verziehen, in russland, da gibt es viel Süßwasser. Drei Viertel der Süßwasserreserven sind in den Gletschern aufgespeichert. Aber es gibt auf der Erde auch Gegenden, wo das Wasser knapp ist“, erklärte ihm der Autoritätstropfen die Situation.
„Zu wenig Trinkwasser gibt es im Nordosten Mexikos, in Chile, Argentinien, Australien und fast überall in Afrika“, fügte der erste Tropfen hinzu. „Ich kann spüren, wie gerade jetzt irgendwo viele Pflanzen unter der brennenden Sonne verenden, wie die Tiere nach Wasser suchen, wie so viele Menschen Wasser für einen Luxus halten und einen jeden Schluck abwägen müssen.“
„Aber im Ozean gibt es doch so viel Wasser“, sagte der Igel.
„Oh, fang damit erst gar nicht an“, sagte der erste Tropfen. „Unser Schöpfer hat einen speziellen Sinn für Humor. Er hat erst genug Wasser erschaffen, aber dann hat er aus irgendeinem Grund beschlossen, es zu salzen! So will es ein trauriges Wassermärchen.“
„Solche Urteile über unseren Schöpfer verbiete ich mir. Er hatte für alles seine Gründe“, mischte sich der Autoritätstropfen ein.
„Ich meine ja nur, Salzwasser ist nun einmal zum Trinken ungeeignet. Wenn du dich auf dem Ozean verirrst, darfst du trotzdem auf keinen Fall sein Wasser trinken, da ist zu viel Salz drin. Zu unser aller Unglück machen wir, die Süßwassertropfen, nur 2,5 bis 3 Prozent des Wassers auf der Erde aus. Und unsere Aufgabe ist es, den Durst aller Lebewesen des gesamten Planeten zu stillen. Das ist wirklich eine schwere Aufgabe.“
„Ich glaube, ich verstehe jetzt, warum ihr sauer seid, dass ich den Wasserhahn offen gelassen habe“, brachte der Igel betroffen hervor. „Aber meint ihr wirklich, dass ich die Erde retten kann, wenn ich anfange, auf meinen Wasserverbrauch zu achten? Ich bin doch nur ein ‚einfacher kleiner Igel‘.“
„Wir sind alle bloß Tropfen. Wir sind nur 3 Prozent. Und trotzdem helfen wir allem Lebendigen auf unserem Planeten jeden Tag beim Überleben! Und sind nicht beleidigt, dass wir nur so wenige sind. Wer, wenn nicht wir? Und wer, wenn nicht du?“, sagte der Autoritätstropfen.
„Stimmt schon, fast die Hälfte des Süßwassers verbrauchen schon Wirtschaft und Fabriken, und außerdem werden mit uns noch Felder bewässert, um Pflanzen anzubauen. Deswegen wird dein Beitrag beim Sparen minimal sein. Aber wenn ein jeder bewusst Wasser verbrauchen und auch von seinen Regierungen und Fabrikdirektoren einfordern würde, dass die rücksichtsvoll mit Wasser umgehen, dann könnte die Welt ein Stückchen besser werden“, fügte der zweite Tropfen hinzu.
„Eigentlich wollen wir gar nicht viel. Einfach, dass ihr euch genauso um uns sorgt, wie wir uns um euch sorgen“, sagte der erste Tropfen.
Igel Bull spürte, wie sich noch ein Tropfen zu ihnen gesellte – eine Träne, die sich bei diesen Worten gelöst hatte.
„Und jetzt schnell, komm mit uns mit!“, sagte der Autoritätstropfen. „Das Portal zurück in die Pfütze öffnet sich. Du musst schnell durchhüpfen, bevor die Sonne noch das ganze Wasser austrocknet.“
„Tropfen, danke dafür, dass ihr mir heute das Leben gerettet habt. Und dass ihr es mit eurer Arbeit mein ganzes Leben lang gerettet habt. Ich verspreche euch, mich mein ganzes Leben lang um einen jeden von euch genau so zu sorgen, wie ihr euch um mich sorgt. Ich stehe tief in eurer Schuld.“
Ohne ein weiteres Wort umarmten die Tropfen den Igel. Sie waren sehr empfindsam und reagierten schnell auf jedes liebe Wort, das man an sie richtete.
„Danke dir, lieber Igel! Und jetzt schnell, hüpf durch das Portal!“, rief der erste Tropfen, und gleich verschwand Bull im Portal.
Eine Sekunde später war er zurück im Wald und stand mitten in der Pfütze. Er konnte gar nicht glauben, was für ein Abenteuer er da gerade erlebt hatte. Er schaute auf seine Hose, die war nass, als hätte er hineingemacht. Bull schaute auf seine Uhr und rannte zur Schule. Zwar dachte er kurz darüber nach, wegen der nassen Hose zuhause vorbeizuschauen, aber dann wurde ihm klar, dass es viel wichtiger war, allen anderen von seinem Erlebnis zu erzählen. Seine Lehrerin seufzte nur traurig, als sie Bull in seiner nassen Hose sah, die anderen Kinder aber lachten laut.
„Bull, hast du deine Hausaufgaben gemacht?“, fragte ihn die Lehrerin ohne Hoffnung.
„Ja!“, sagte Bull stolz. „Heute will ich davon erzählen, wie wichtig es ist, mit der Umwelt achtsam und rücksichtsvoll umzugehen!“
Bull berichtete, was er von den Tropfen gelernt hatte – von den Grenzen der Süßwasserreserven, von deren Fehlen in Afrika und Australien, von der Wichtigkeit eines bewussten Verbrauchs. Sein Vortrag machte Eindruck bei den anderen Kindern und bei seiner Lehrerin, er bekam eine gute Note, aber am wichtigsten war, dass Bull von diesem Tag an während des Zähneputzens jedes Mal den Wasserhahn zudrehte und nirgendwo mehr Nasenpopel hinterließ. Denn er respektierte inzwischen nicht nur das Wasser – sondern auch die Mühen von Leuten, die warum auch immer einen Sauberkeitsfimmel hatten.
Margaryta Surzhenko
Übersetzung: Jakob Wunderwald
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